Kunst im Turm zeigt Werke von Jörg Spätig bis zum 27. September 2017.
Hier um den Eindruck zur Ausstellung abzurunden, die Eröffnungsrede von Volker Idelberger.
Vom Reiten des Bullen oder der absurde Versuch des Verstehens
So hat Jörg Spätig seine Ausstellung betitelt.
Beim Bullenreiten sind wir auf einem Rodeo: Der Bulle in seiner Box. Der Reiter besteigt ihn und hält sich an einem Seil fest. Die Box wird geöffnet, der Bulle jagt los und versucht den Reiter abzuwerfen. 8 Sekunden muss der sich auf dem Bullen halten, dann kommt er in die Wertung. Ähnlichkeiten des Bullenreitens auf einem solchen Event mit hier gezeigten Plastiken wäre übrigens rein zufällig.
Aber wie absurd es ist zu versuchen, den Bullen zu einem Reittier zu machen und dabei Kopf und Kragen zu riskieren.
Es ist: unsinnig – aberwitzig – bescheuert – hirnverbrannt – irrational – irre – irrsinnig – irrwitzig – ohne Sinn und Verstand
Bei Jörg Spätig ist aber schon allein der Versuch des Verstehens absurd. Meint: Das Objekt der Verständnissuche ist so absurd, dass man selbst den Versuch des Verstehens unverzüglich in die Tonne treten sollte. Es gibt nichts zu verstehen.
Ich stell mir den guten Jörg vor, wie er in seinem Atelier von seiner Arbeit einen Schritt zurück tritt und sich fragt: Was soll der ganze Scheiß, was mache ich hier? Er wird sich eine Zigarette drehen, vor sein Atelier treten, sie anstecken und, obwohl er aufhören wollte zu rauchen, einen tiefen Zug inhalieren.
Die Sinnfrage hat sich wieder mal in seine Gedärme geschlichen. Aber er kennt sie, er lebt schon sein ganzes Künstlerleben mit ihr. Deshalb wird er jetzt auch die Zigarette austreten und weiter arbeiten.
Solche Sinnkrisen kennt wohl jeder. Und wie Jörg stehen wir mit der Sinnfrage und der Erkenntnis der Absurdität der Existenz und damit des eigenen Tuns in erlauchter Gesellschaft:
Beckett, André Breton, Friedrich Dürrenmatt, Nikolai Wassiljewitsch Gogol, Martin Heidegger, Wolfgang Hildesheimer, Eugen Ionesco, Karl Jaspers, Söhren Kierkegaard, Sartre, Bunuel oder Albert Camus, bei dem das absurde ein zentraler Punkt seiner Philosophie ist. Er sieht darin die Erkenntnis eines Menschen, dass Leid und Elend in der Welt keinen Sinn haben, dass jede Sinngebung andererseits bedeutet, vor dem Leid in der Welt die Augen zu verschließen.
Über „Der Mythos des Sisyphos“ von Camus musste Jörg als Schüler mal ein Referat halten. Die Arbeit daran scheint Spuren hinterlassen zu haben.
Und dazu auch noch zwei Zitate:
„Das absurde hat nur insofern einen Sinn, als man sich nicht mit ihm abfindet.“ Albert Camus
„Das absurde, mit Geschmack dargestellt, erregt Widerwillen und Bewunderung.“
Johann Wolfgang von Goethe
In diesen Kontext des Absurden gehört auch: Dadaismus, Surrealismus, Existenzphilosophie und Existenzialismus.
Die Gewohnheit des Verstandes ist Sinngebung. Wenn selbst die Religion, spätestens seit dem von Nietzsche verkündeten Tod Gottes, bei der Sinngebung versagt, was bleibt uns?
Da fragen wir mal Herrn Lindner von der F.D.P. und der sagt: der Markt. Etwas bringt Geld, also ist es sinnvoll. Ob Bullenreiten oder sonstiger Irrsinn.
Und die Kunst? Auf Auktionen erzielen Hurst, Richter und andere Großkünstler regelmäßig zig Millionen. Das hat nichts mehr mit dem Wert des Werkes zu tun, es ist reine Spekulation. Es ist absurd.
Rüdiger K. Wenig, kennen Sie wahrscheinlich nicht, ein Kunsthändler, der sich selbst als ersten börsennotierten Kunsthändler bezeichnet, hat folgendes gesagt: „Rote Bilder verkaufen sich besser als braune. Blau ist auch keine schlechte Farbe. Genauso sollte man sich als Händler überlegen, wer seine Zielkunden sind. Moderne Kunst wird zu 90 % von Männern gekauft, meistens sind sie auch nicht mehr ganz jung. Daraus folgt: Gemälde mit jungen Frauen verkaufen sich besonders gut.“
Ich kann nur sagen: zum Glück gibt es noch Künstler wie Jörg Spätig, die dem pervertierten Kunstmarkt entspannt die Zunge rausstrecken.
Die Werke sind bis zum 27. September 2017 in Lippstadt, Kunst im Turm, Von-Tresckow-Str. 31 zu sehen. Öffnungszeiten: Mi. und Sa. 16 bis 19 Uhr, So. 11 bis 16 Uhr