Diverse Dinge des Alltags sind das übergeordnete Thema der Ausstellung. Es ist ein experimentell-reflexiver Umgang mit dem vorgefundenen Material. Freier-Bongaertz schafft mit ihren Alltagsdiversitäten einen Ort des Staunens. Mit einem Augenzwinkern, gekonnter Zeichentechnik, die einen gelungenen Balanceakt zwischen Linie und Fläche vollführt, offenbart sich dem Betrachter der Inhalt der Arbeit.
Ausstellung bis 8.12.2017 im Kreishaus Gütersloh, Herzebrocker Str. 140
Öffnungszeiten: Mo – Mi 8 bis 16:30 Uhr, Do bis 17:30 Uhr, Fr bis 14 Uhr
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Über 100 Menschen nach ihren Tagträumen befragt und ihre Antworten in Schneekugeln zeichnerisch festgehalten |
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Anna Bella Eschengerd während ihrer Performance zur Eröffnung |
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Michael Wöstheinrich hielt Momente der Eröffnung in Fotografien fest |
Anna Bella Eschengerd über die Ausstellung und die Künstlerin
Die Kunst von Beate Freier-Bongaertz ist freundlich. Die Farben sind warm und oft licht, die Motive weitgehend alltäglich. Der Alltag ist ihr Thema. Die Künstlerin gibt dem Alltag und dem Menschen als handelndes Individuum in seinem Alltag eine Bühne. Freundlich hebt sie das scheinbar Banale hoch und findet einen Strich, der so leicht ist, wie der Alltag in seiner Vertrautheit unsichtbar ist. Und mit diesem Impuls wird sichtbar, was wir sonst leicht übersehen oder erst wahrnehmen, wenn wir es als unser einengendes Korsett verdüstern.
Die Wertschätzung des uns unmittelbar Umgebenden beflügelt die Figuren in ihrem Tun. Die Hausarbeit mit einem Lied auf den Lippen verrichten, wie ein König am Grill zu stehen und sich auf den Schmaus freuen… Momente der Kontemplation erleben – einen Augenblick frei sein.
Beate Freier Bongaertz tritt ein für Freiheit: politisch mit ihrem Mittel der Kommunikation, konstruktiv. Sie sagt nicht, wogegen Sie ist. Sie sagt, wofür sie ist, was sie schätzt und gibt der offenen, solidarischen Gesellschaft Bilder und klare Aussagen, zeigt Haltung. Und wurde damit schon zum Aushalten gebracht. Bedrohung der freundlichen Freien. Versuch des Eindringens in den persönlichen Raum, der bei ihr groß und einladend aber nicht übergriffig ist. Gut sichtbar mit dem möhrenroten Schopf, aber nicht lautstark skandierend, sondern besonnen und warm mit zielsicherer Kraft.
Kleine Kunstwerke, die liebevoll Geschichten erzählen. Schneekugeln – für viele Akteure im Kunstbetrieb ein No-go. Hemmungslos sentimental und verkitschte Staubfänger. Beate Freier-Bongaertz nimmt sie her und macht sie zur Ausstellungfläche privater Sehnsüchte, kleiner Fluchten und Tagträumereien. Die Schneekugeln zeigen Illustrationen von Geschichten, die ihr Menschen erzählt haben, wie sie sich im Alltag wegträumen, wenn sie im Stau stehen oder von auswegloser Langeweile umgeben sind oder in ihrem persönlichen Fließen gestört werden. Beate Freier-Bongaertz hört gut zu und balanciert leichtfüßig zwischen Werk, Medium, Geschichte, Bühne und Installation. Gibt dem Kleinen genau den Anstrich als Impuls, dass es zu tanzen anfängt. Lieblich leicht? Nein, von einer ruhigen Beharrlichkeit kündend, dass wer die Welt verändern möchte, mit seinem Blick beginnen sollte und Übung braucht, dem Umgebenden Licht zum Wachsen und Luft zum Atmen zu geben. Zeichengärtnerin, die ihre buchstäblichen „Sätz“-linge hegt und pflegt und die Psyche jenseits ihrer Extremausschläge ernstnimmt.
Ihr Publikum darf und soll bauen, schütteln, schauen und sich ein Lächeln erwirtschaften. Das ins Möbelgroße verstärkte Kinderspiel, das Motive der griechischen Mythologie zeigt, wenn man es spielt, lädt ein, Aufmerksamkeit zu schenken und dafür mit einem Motiv belohnt zu werden. Wohltuend, aufbauend im Sinne des Wortes. Die Menschen in ihre Kraft zu setzen, wertzuschätzen, was uns umgibt und den liebevollen Blick zu nähren. Ja-sagen zur Verletzlichkeit, spricht sie aus.
Die Stickrahmen, die von weitem aussehen wie Wunden, in den Farbtönen von Fleisch und Körperinnerem an Luft gebracht, zeigen von Nahem Reisegeschichten. Berühmte Motive aus Reiseliteratur nicht eingenäht, sondern aufgebracht auf Stickrahmen, die Grenzen von Nähmustern als Ausgangspunkt der eigenen, spielerischen Reise deutend. Verletzlich bleiben, sich einer Reise aussetzen, die Sinne wach, Innen und Außen oszillierend, fortgetragen in der In-Bezugsetzung zu neuen Eindrücken.
Andere Werke setzen Mitbringsel von Reisen als Heimat für die Reise der Verklärung in der eigenen Erinnerung. Andacht an die eigene Existenz. Verwebung der Geschichte in der eigenen Erinnerung. Es sind Gebrauchsgegenstände, weniger noch, Verpackungen, Unobjekte, die nur zur Bekleidung von Nahrung oder einem kleinen Genuss, einem amuse gueule dienten. Diese Reste werden als seiend erfahrbar, als solches, weil sie ein Begleiter waren auf einer Reise, die Reisende nährten und mit Aufmerksamkeit nicht weggeworfen sondern gestaltet wurden.
Ein Selfi, als zeitgenössische Selbstvergewisserung vor bedeutender Kulisse entblößt den Zweifel der Reisenden an ihrer Selbstvergegenwärtigung. Die illustrierten Verpackungen zeugen dagegen von der Kraft des Seins, weil sie von der Fähigkeit künden, Identität zu stiften: einer Umverpackung, diesem vorübergehenden, zweckgebundenen Sein ein Bleiben schenken, eine Individualität zu verleihen. Nicht der Nutzen rechtfertigt das Sein, sondern das Sein bietet Fläche zur Bezugnahme und generiert ein Bleiben. Das hunderttausendfach produzierte Material zur exquisiten Sichtbarmachung seines Inhalts, verwelkt im Augenblick seiner Entblößung. Man will sich schnellstmöglich entledigen des nutzlosen Wamses. Beate Freier-Bongaertz nimmt diesen Rest auf und stattet ihn mit Zeichen des Moments an dem Ort seines Übergangs von Verkünden zu Vermüllen aus. Mit ihren Strichen bringt sie das Unleibliche durch ihren Anwurf in einer ästhetisch initiierenden Transformation zum unique Seienden.
Infos über Anna Bella Eschengerd
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