Von Blaumachern und Schwarzmalern

Die Künstler der DaunTown-Ateliers präsentieren ihre Arbeiten derzeit in einer großen Ausstellung in der Novilla, International Center For Arts, Creativity & Exchange in Berlin.

Die Ausstellung bildet mit 87 Exponaten ein vielfältiges aktuellen Kunstschaffen ab. Zu sehen sind aktuelle Werke von zehn DaunTown-Künstlern: Anna Bella Eschengerd mit surrealen Zeichnungen, Annie Fischer mit Objekten, Beate Freier-Bongaertz mit Rauminstallation, Susanne Kinski mit Collagen, Marvin Knopf mit ungegenständlicher Malerei und Skulptur, Elena Kok ebenfalls mit ungegenständlicher Malerei, Wolfgang Meluhn mit expressionistischer Malerei, Matthias Poltrock mit Objekten, Jörg Spätig mit Skulptur und Malerei und Michael Strauß mit Skulptur und Relief.

Allein vom Titel her ist die Ausstellung weder für Pessimisten gemacht, noch für Fernbleiber, Betrunkene oder Wiederholungstäter. Blaumacher und Schwarzmaler zeigen die Ausdrucksformen künstlerischer Arbeit, die gerade nicht auf Blaupausen basiert, sondern die Beschäftigung mit dem Medium Farbe. Es geht in der bildnerischen Kunst darum zu sehen, Blau und Schwarz, als Farben. Gerade bei den Skulpturen von Spätig und Poltrock staunt man über die wissenschaftliche Erkenntnis, dass Schwarz keine Farbe sei. Ausgestellt sind Werke der künstlerischen Auseinandersetzung, von intuitiv bis den Alltag kommentierend, von interaktiv bis Formalästhetik, bis hin zum Surrealen. In diesen blauen „Seh“ kann der Besucher eintauchen…

Die Novilla ist eine alte Stadtvilla direkt an der Spree in Oberschöneweide. Bespielt wird sie von den Moving Poets mit einem reichhaltigem Kulturangebot. Neben Ausstellungen finden dort auch Lesungen und Konzerte statt.

Der Verein Moving Poets ist eine internationale Gemeinschaft von Künstlern und Kreativen verschiedener Disziplinen, Kulturen und Altersgruppen, der 1996 in den USA als professionelle, gemeinnützige Kunstorganisation gegründet wurde. Neben Berlin gibt es einen weiteren Sitz in Charlotte, USA.


Die Ausstellung ist bis zum 5.3.2023 zu sehen.
Öffnungszeiten: Mi 17 – 20 Uhr | Sa 16 -19 Uhr | So 14 -17 Uhr,

bei allen Veranstaltungen und nach Vereinbarung:
www.movingpoets.org

Novilla, Hasselwerderstr. 22, 12439 Berlin
Für alle Berliner:
Direkt an der Spree, ca. 10 Minuten vom Ostkreuz und S&U Neukölln.
S9, S8, S85, S45, S46, S47 (bis Bahnhof Schöneweide, dann 8 Minuten laufen)
oder Bus 165 (bis Hasselwerder Straße, dann 3 Minuten laufen)
oder Straßenbahn 27, 63, 67 (bis Firlstraße, dann 3 Minuten laufen).


Malerei von Wolfgang Meluhn außen an der Novilla.


Einer der Ausstellungsräume mit Skulpturen von Jörg Spätig und Arbeiten von Beate Freier-Bongaertz, großformatiger Malerei von Marvin Knopf und Zeichnungen von Anna Bella Eschengerd.


Skulptur Jörg Spätig, Malerei Marvin Knopf.


„Cafe Moskau“ von Beate Freier-Bongaertz. Besucher werden Teil des Kunstwerks, nach lösen einer Eintrittskarte dürfen sie dann die Türen zu den einzelnen Räumen öffnen.


Raumansicht mit Objekten von Matthias Poltrock, Annie Fischer und Reliefs von Jörg Spätig.

Matthias Poltrock „Das Herz eines Künstlers ist manchmal wie Glas“ Objekt aus Fundstücken.


Vorne rechts, abstrakte Landschaftscollagen von Susanne Kinski.


Malerei von Elena Kok.


Ein Relief von Michael Strauß.


Skulpturen von Michael Strauß.


Links, Malerei von Wolfgang Meluhn.


Rauminstallation „schlaf!“ von Beate Freier-Bongaertz in der Abstellkammer 1.
Die Zeichnungen an der Wand entstanden nach Interviews, in denen Menschen über ihr Nicht-schlafen-können berichteten.


Bilderkabinet „Bilderflut“ mit pornografischen Malereien von Jörg Spätig in der Abstellkammer 2.


Eröffnungsperformance von Anna Bella Eschengerd.

Zweites DaunTown-Atelier-Stipendium 2022

Auch 2022 fördert DaunTown eine zweite Künstlerin mit der Möglichkeit für einige Monate in den Atelieräumen zu arbeiten. Regulär wird jedes Jahr nur ein Atelierstipendium vergeben. Die Künstlerin Elena Kok hat in den vergangenen Monaten die kompletten Werke für ihre letzte Ausstellung in den DaunTown-Ateliers erstellt.

In ihren Arbeiten beschäftigt sich Elena Kok mit einer wichtigen Frage unserer Zeit, der kulturellen Herkunft. Ausgelöst wurde dieses Interesse durch ihren persönlichen Hintergrund, in Deutschland aufgewachsen als Kind einer mexikanischen Mutter und eines deutschen Vaters.

In ihren Werken setzt sie sich mit den Hochkulturen Mexikos auseinander, um zu sehen, wie viel Einfluss diese alten Wurzeln heutzutage noch auf sie haben. Gleichzeitig ist es auch eine Suche nach Zugehörigkeit.

Gefunden hat sie dabei eine ganz eigene Formensprache, die sich aus vielem zusammensetzt. Und eine Antwort die positiv stimmt: Nicht die abstrakte Vorstellung von Authenzität ist für uns als Person wichtig, sondern die Möglichkeit individuell eine eigene reale Authenzität zu entwickeln.

Elena Kok arbeitet in den Bereichen Malerei und Skulptur. Während in ihrer Malerei der europäische Einfluß überwiegt, sehen wir in den Skulpturen deutlich mexikanische Ursprünge. Die Figuren entspringen der Mythologie der Azteken kombiniert mit der mexikanischen Fauna und der bildnerische Erfahrung der Künstlerin.

Elena Kok im Atelier.

Großformatige Malerei von Elena Kok.

Ergänzt werden die Skulpturen durch Fundstücke aus der mexikanischen Heimat, zum Beispiel Gürtel und Armbänder, die in die Formgebung einfließen.

Die Farbigkeit und Muster der Skulpturen sind eine Mischung aus mexikanischem und aktuellem europäischen Einfluss.

Objekte der Verwandlung – Zeus Affairs

Verwandlungen sind eines der großen Themen in der griechischen Mythologie; Götter, die sich oder Menschen verwandeln, um zu verführen oder zu bestrafen. Die amourösen Abenteuer des Zeus in verschiedenen Tiergestalten, zum Beispiel Europa und Stier oder das Sternbild großer und kleiner Bär (deutschsprachiger Raum: großer und kleiner Wagen), sind Teil unserer Alltagskultur geworden.

Die Arbeiten von Beate Freier-Bongaertz greifen diese Verwandlungsgeschichten der griechischen Mythologie auf und setzen diese in einem Balanceakt zwischen Linie und Farbfläche um.

Die Würfelobjekte selbst sind Teil des Prozess der Metamorphosen, sie können vom Besucher verändert werden, experimentell neu zusammengestellt oder bestehende Bilder gefunden werden. So kann der Besucher am lustvollen Spiel teilhaben. Das Spiel wird zum Kunstwerk.

In der Galerie Serpil Neuhaus wird die Werkreihe „Zeus Affairs“ von Beate Freier-Bongaertz umfassend gezeigt, es sind Würfelobjekte und auch die  dazugehörigen Bilder zu sehen.

„Zeus Affairs“ Ausstellung 13.8. – 25.9.2022, Öffnungszeiten: Fr. 16 – 19, Sa. + So. 14 – 17 Uhr und nach Vereinbarung (01704728868). www.serpil-neuhaus-galerie.de

Ausstellungsansichten, mehr Werke von Beate Freier-Bongaertz hier.

Eröffnungstext von Anna Bella Eschengerd:

Die Verwandlung

Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.

Davon hatte Leonore Fritz gehört und nach der Magie gesucht, die Wort und Wanst ergriffen haben mag, um daraus dieses weltverlassene Gespinst zu weben.

Leonore war schon souverän an ihre Vielbeinigkeit gewöhnt und an das Leben in den Winkeln wo weder Verwandtschaft noch Prokuristen ihr Unwesen trieben.

Leonore kauerte abwartend, wenn ein Zug vorbeidonnerte und tippelte auf einer hell perlenden Oktave eines Glockenspiels über die freie Fläche, um darauf harrend in einem Zwischenraum zu überbrücken und zu observieren. Es war üblich unter diesen Tieren, aus ihren Ritzen raus zu stieren, ob gefahrlich nähert sich etwas zum Töten trachtend. So starrten Augenpaare gelb und unbewegt zwischen Lauern und Belauertwerden.

Ein Ich schält sich aus dem Schatten eines Seitenblicks und stellt sich vor als Reporterin, die bäuchlings das Leben auf der Erde eruierend, Gregor kannte und auch Leonore bei ihrem Vordernamen nannte. Als diese frug ich die Dame, die sich mit mehrfach über Kreuz geschlagenen Beinpaaren in Szene setzte. Die Sonnenbrille steckte auf dem flachen Insektenkopf, ganz im Stile Saint Tropez. Wie es so mit Atemlosigkeit sei in diesem Leben als Schabe…

Da hob sie ihren ganzen Käferleib und stellte krachend Fußpaar um Fußpaar auf den Boden. Das war ein Schritt zu weit! Schabe frommte der Marilyn des Abflussrohrs, nicht nur nicht, nur sprach sie nicht und rümpfte nur, vermute ich, ihre Nase. Mit stricknadelklappernden Füßchen entfernte sich die Diva. Ich blickte auf den schwankenden Hinterleib dieser verkörperten Entrüstung.

DaunTown-Atelier-Stipendium 2022

In diesem Jahr geht das DaunTown-Atelier-Stipendium an die Künstlerin Anna Bella Eschengerd. Für sieben Monate stellt DaunTown ihr einen Atelierraum zur Verfügung. Sie hat sich bereits eingelebt und einige Arbeiten geschaffen.

Anna Bella Eschengerd ist eine vielseitige Künstlerin. Ihr Arbeitsfeld liegt im Bereich der Zeichnung, der Performance und des Textes.

Ihre Zeichnungen lassen sich dem Surrealismus zuordnen. Sie beginnt an einer Stelle auf dem leeren Blatt mit einer zeichnerischen Geste, einer Linie oder einer Struktur, lässt dem Stift seinen freien Lauf und sieht dem Geschehen zu, um dann die Linien zu Formen weiter zu entwickeln. Aus den unbewußt entstehen Figuren, die sich fortwährend verändern, werden kryptische Geschichten und letztendlich großartige grafische Blätter. Diese Arbeiten ziehen in den Bann! Mit der gleichen Akribie, mit der die Künstlerin zeichnet, verfolgt der Betrachter die Bilddetails und versucht das Werk zu entschlüsseln.

In ihren Performances ist Anna Bella Eschengerd leise aber sprachgewaltig unterwegs. Sie reagiert auf den jeweiligen Raum oder das Publikum mit Bewegung und Sprache. Oft geht sie auch künstlerische Kooperationen mit Musikern ein. Ein Beispiel ist das zum Teil in DaunTown entstandene Werk „Alles ist zerleuchtet“. Hier hat Anna Bella Eschengerd einen Text geschrieben, die Buchstaben kodiert und zusammen mit dem Musiker Willem Schulz in Noten transformiert. Die sich daraus ergebende Partitur wurde als Konzert für Cello, Klarinette und Mezzosopran aufgeführt. (Text im Anhang).

Ihr großes Sprachtalent nutzt sie im Atelier auf besonderer Weise, als vierte DaunTown-Stipendiatin ist sie die erste Künstlerin, die hier ein Atelier-Tagebuch schreibt.

Anna Bella Eschengerd im Gespräch über Kunst im Atelier.

Noten-/Arbeitsblätter zum Text „Alles ist zerleuchtet“.

Alles ist zerleuchtet (von Anna Bella Eschengerd)
Das Spiegelkabinett wirft das Bild eines Verwirrten nach dem Gast, der sich seinen Weg ertastet. Erstickt in einem Lichtkasten: ein Vögelchen zur Rechten. Dem Tier tief ins tote Auge schauend verliert er Halt. Der ganze Leib stürzt nach in eine leuchtende Tiefe und findet sich zerbeult in einem Winkel. Die Grimasse steht Kopf und der Gast rappelt sich auf. Der Gang ist eng und ganz erleuchtet. Ein dunkler Krabbler robbt voran. Sein Kopf stößt sich von der niedrig Decke ab. Das einzige Licht, das aus ist, ist das Augenlicht, die ganze Helle ergibt kein Bild für den sich vorwärts Ringenden. 

Der Gast fühlt sich gequetscht von all dem Gleißen. Gast, Gast, was heißt das schon? Erinnern muss er sich! Von hinten wälzen sie sich schwergewichtig über ihn, den einzig dunklen Fleck an diesem lichten Ort. 

Er hockt sich hin, so gut es geht. Es ist sehr warm, er ist ganz falsch gekleidet für diesen Anlass. Vielleicht kann er seine Krawatte lösen und sein Jackett über die Schultern ziehen. Ein Clownsgesicht links bei ihm tut es ihm gleich. Dieser Narr steckt sich den Schlips zipfellängs in den roten Mund und schlingt ihn sich in den Hals, bis er sich selbst erwürgt. Mit sichtlichem Befremden verfolgt der Gast das Treiben. Da reißt es ihn aus den Schuhen, halswärts in ein weiteres Licht.

Die Hand, die Hand, er legt sie flach auf das, was sich gläsern zeichnet. Ein Gefühl zu fordern tritt er an mit leerem Stiefel. Was da ist, schwindet gleich unter seinem Tasten. Härte unter meinen Knien betet er nach inständig. Zwei Schwäne – gläsern – schieben sich, wie auf Befehl, an ihm vorbei. Wobei das filigran Gefieder schneidet nach ihm scharf. Er, Weichender, seines Fleisches sehr bewusst. 

Dann kommt die Liebe in Gestalt eines Tauben und übergießt ihn kühl obszön mit ihrer Nacktheit, dass er schamhaft um sich schaut, vor wem sie sich wohl exponiere, doch niemand da im Außen ist, das sich verzieht in gleißend hell. Die Liebe legt den Finger an den Mund und betont ganz salbend: nur er sei gemeint und ganz intim, weil alles so erleuchtet sei, das er bewandele. 

Quatsch prescht er gerade los, als er ins Rutschen kommt und auf dem wächsern Blut der Liebe seine Spur zu Tosen wischt in dem er dann von dannen zischt. Gebeult liegt er da am Ende in seinem Saft. Endlich in einem Aquarium wie es scheint. Es leuchtet so sehr, dass es fast kreischen müsste, wie es ihn überstrahlt, als er nach seinen Händen schaut, die wie ein Fremdes vor ihm sternen. Die Hand beschaut aus der Erinnerung, kein Band zu dem, was da vor ihm steht, lässt er das Tasten sein und tanzt ganz leise irr, so öffnet er den Schlund und schluckt das Licht und will es furzen, so entgrenzt ist er, doch es durchdringt ihn als von Gegenstand. Kein Widerstand dem groben Auge vor dem Guckekasten: ausgedünnt, zerleuchtet, hat nicht standgehalten.